Mittwoch, 29. Januar 2014

Ich komme zurzeit so selten zum schreiben, aber dieser Eintrag hier wird auch der letzte bis Mitte Februar sein. Ab Samstag (freitags abends fahre ich allerdings schon los) bin ich für 9 Tage auf meinem Zwischenseminar in Dresden. Unglaublich, dass jetzt schon bald Halbzeit ist, aber ich freue mich total darauf alle wiederzusehen. Manche habe ich zwar wieder im November beim Seminar vom ICE francophone getroffen, aber andere jetzt ein halbes Jahr lang nicht. Denen wirds nicht anders ergehen wie mir, sie haben auch nicht viel Zeit für ausgiebige Gespräche mit anderen Freiwilligen vom ICE, wir sind ja auch auf ganz Europa verteilt. Ich erinner mich wirklich noch genau an die Momente, wo wir uns alle nochmal umarmt haben, uns ein gutes Jahr gewünscht haben und man sich mit den Worten "Wir sehen uns dann beim Zwischenseminar und wenn nicht, dann zum Schlussseminar". Da konnte sich noch keiner wirklich vorstellen, wo er landen wird und was wir bis zum Zwischenseminar alles erleben werden. Ich kann mir aber auch vorstellen, dass ich die Arbeit hier nach dem Seminar wieder mehr zu schätzen weiß, nachdem ich mit anderen gesprochen haben, die auf völlig andere Lebensumstände getroffen sind. 

Noch kurz eine Übersicht, was ich in den letzten Tagen gemacht habe

Montag hatte ich frei und war das erste Mal hier im Schwimmbad. Es war schön mal wieder was für mich zu machen und sich nur auf sich selbst zu konzentrieren brauchen/ müssen.

Kein Vergleich zur Arbeit im Sentier. Da war ich gestern wieder und diesmal ging es nach Calais in ein großes Einkaufszentrum (wo ich auch schon mit Patricia war). Mir gefällt es, dass ich dorthin komme und dort mit rein gesteckt werden, wo gerade eine Aufsichtsperson fehlt. Auch fühle ich mich da eher als "Freiwillige", da wir dieses "Experiment" freiwillig in unserer Pause machen. Außerdem verstehe ich mich mit den Mitarbeitern dort total gut, Laurence bedankt sich jedes Mal, wenn ich gehe und mich verabschiede. 
Gestern fuhr ich also mit Francois und 5 Bewohnern in einem Gefährt, das noch größer ist als unsere Transporter, auch wesentlich älter ist und dort, wo normalerweise die Sitzreihen sind, befindet sich eine Art Ladefläche. Unser Auftrag war es nämlich, für das Atelier Sachen zu kaufen. Ich konnte nicht ahnen, dass wir den ganzen Bestand an Bügelperlen im Spielzeugladen leerkaufen und das mal so für schlappe 250€. Eve, ein Autist im Foyer, macht nämlich nichts anderes als diese Bügelperlen. So ein Vorrat reicht bei ihm auch gerade mal für einen Monat. Dann haben wir noch Papierblöcke gekauft, da habe ich auch keine Ahnung wie wir da auf 300€ kommen konnten. Danach waren wir einen Kaffee trinken. Da musste allerdings jeder hintereinander aufs Klo, sodass ich also nur Leute vom Tisch zur Toilette und zurück begleitet habe. Einmal habe ich den Fehler gemacht und war selbst auf der Toilette, während Serge und Clement auf dem Männerklo waren. Ich hab mich auch extra beeilt, damit ich vor den zwei fertig bin. Aber als ich wieder nach draußen kam, habe ich nur Clement angetroffen. Da Serge im Männerklo nicht zu finden war, dachte ich er wäre schon zurück gelaufen. Also bin ich mit Clement zurück, da war Serge natürlich nicht, also ich wieder zurück zur Toilette (der Weg führte einmal um eine Kurve in einem leeren Restaurant). Da hab ich Serge schon herumirren gesehen, wie er gerade auf den einzig besetzten Tisch zugelaufen ist. Ich bin dann wild gestikulierend auf ihn zu, weil Namen rufen bringt eigentlich nie etwas. 
Morgen bin ich bei der Colombe (mit denen ich in Trosly war) zum Essen eingeladen. Marie-Gilles kam letzten Mal im Sentier auf mich zu (sie marschiert immer richtig schnell) und hat mich eingeladen, zwar so, dass ich es erst beim 3. Rateversuch verstanden habe, aber das hätte ich von ihr überhaupt nicht erwartet. Vorallem weil sie während dem Urlaub nicht wollte, dass ich sie beim Duschen begleite. Auch heute während der Messe stand sie in der Reihe schräg vor mir, dreht sich um und meint "du kommst Donnerstag?" Ich hab erstmal nicht gecheckt, dass ich gemeint bin, weil sie schielt und ihre Augen nie in die gleiche Richtung schauen. Das sind dann wirklich die Momente, wo die Personen einen mit ihrem plötzlichen Interesse überraschen. Es ist schwer einzuschätzen, was sie jetzt von einem halten, weil sie sich oft widersprüchlich verhalten. 
Bei unseren Leuten im Foyer ist das zwar anders, aber es gibt auch so unerwartete Aktionen. Bsp: Valerie, Aline und ich sitzen im Büro und unterhalten uns wegen der Organisation, und wenn Aline da ist, ist immer sie die Ansprechperson und die, die auch am meisten Ahnung hat. Zwar war die Frage nur "Wie viele Personen sind wir heute Abend" (sie war gerade am Tisch decken) und Aline hat automatisch geantwortet und laut die Personen aufgezählt, die da sind. Ich hab überhaupt nicht groß Acht gegeben und Patrica den Rücken zugekehrt, auf einmal sagt sie "Sophia!" (immer eine große Freude, wenn man hier mit Namen angesprochen wird" "Wie viele Personen sind wir heute Abend?" Angeblich bin ich jetzt Patricias Bezugsperson, deshalb bin ich jetzt ihre Begleitung für ein "Erholwochenende" für die Personen in der Nähe von Paris. Angeblich macht man dort viel stillschweigend, um Zeit zum Nachdenken zu haben usw... Ich bin noch etwas skeptisch, aber ich glaube, Patricia wird das gefallen. 

Mittwoch, 22. Januar 2014

Auf ein Neues

Ich hatte wundervolle 10 Tage Urlaub, den ich zuhause verbracht habe. Danke an alle, die ich treffen konnte und die sich Zeit genommen haben. Es hat keinen Tag gedauert, da habe ich mich wieder so gefühlt, als wäre ich nie weg gewesen. Umso schwieriger ist es, wieder hierher zu kommen. Das beruhigende ist allerdings, dass immer Arbeit auf mich wartet (also bleibt mir nicht viel Zeit meinem Leben hinterher zu trauern) und dass sich nichts verändert hat. Clément hat mich damit begrüßt, dass beim roten Auto das Licht kaputt gefahren worden ist (auf meine Frage, wer es denn gewesen sei, konnte er mir aber bedauerlicherweise keine Antwort geben). Danach hat er mir seine Bilder gezeigt, die er in der Zeit im Atelier gemalt hat. Wie zu erwarten ein Haus in Blau, eins in Rosa, eins in Braun usw... 

Der Dienstag (also vorgestern) kommt mir schon wieder so weit weg vor. Ich habe mich wirklich so gefühlt, als würde ich mehrere Welten durchqueren. Und das lag noch nicht mal an der langen Fahrtzeit, sondern viel mehr daran, dass ich nachts in Frankfurt gestanden habe und mit 20 anderen Leuten auf den Bus gewartet habe. Es ist unglaublich, wie viele Busse nachts vom Frankfurter Bhf aus in alle möglichen Richtungen fahren. Im Bus bin ich immer mal wieder aufgewacht und habe immer gegen dieselbe Nebelwand gestarrt. In Brüssel habe ich mich auf die Suche nach einer öffentlichen Toilette im Bahnhofsviertel gemacht, allerdings öffnen die erst um 6 Uhr morgens. Ich war froh, als ich vormittags wieder in meinem vertrauten Zimmer stand und mich nochmal für eine Stunde hinlegen konnte. Mit dem Santier (dort wo die schwerer Behinderten arbeiten) habe ich nachmittags einen Ausflug zu einem Tierheim gemacht. Schon allein die Leute zusammen zu bekommen, ist viel Arbeit. Zwei haben sich mal wieder gestritten, wer vorne sitzen darf. Das läuft dann so ab, dass sich einer einfach dorthin setzt und der andere lautstark protestiert (da können sie aufeinmal richtig deutlich sprechen und "Nein ich will nicht hinten sitzen" sagen). Dann ist auch alles diskutieren und gut-zureden sinnlos. Das Beste war dann, dass Lucile, die alles in Zeitlupe macht und sich nicht aufspielt um vorne zu sitzen fragt "Und was mache ich?" Sie konnte ich dann schonmal gut hinten hin verfrachten, während der andere Mitarbeiter eine andere Person gesucht hat, die noch mitkommt, da die zwei Streithähne einfach wieder rein gegangen sind. So waren wir im Endeffekt nur zu 4. und haben einen Hund Gassi geführt. Also das sah wie folgt aus: Lucile hat die Leine in der Mitte festgehalten, der Mitarbeiter vom Santier hat das Ende  genommen, damit der Hund nicht davon gestürmt ist. Die andere Hand hat er Patrik (der 2. Bewohner) gegeben, der Angst vor Hunden hat und ich hing noch auf der anderen Seite. Ich mache mir schon gar keine Gedanken mehr, wie so eine Art von Kette bei anderen Spaziergänger ankommt. Patrik kann kaum sprechen und hat die ganze Zeit was mit "gaga" gesagt. Erst dachte ich, er müsste aufs Klo, aber er meinte unser Mini-car (was dieses Mal eigentlich ein normales Auto war) und wollte damit sagen, dass er wieder zurück möchte. Auf halbem Weg haben wir noch einen Kaffee getrunken und mussten Patrik zurückhalten, der auf die anderen Bar-Besucher (Betrunkene zur Nachmittagszeit) mit wedelnden Armen zugelaufen ist. Bei ihm ist es echt schwer, weil er teilweise aggressiv wird und sich die Ohren zuhält und anfängt zu schreien, wenn ihm was nicht passt. Mit ihm kann man leider nicht anders umgehen, außer dass man ihm sagt, er soll aufhören und ihn wegzieht. Lucile ist da schon angenehmer, obwohl ihre Langsamkeit auch anstrengend ist. Sie läuft wie eine Schnecke über die Straße (da bin ich allen geduldigen Autofahrer dankbar) und wenn man ihr eine Frage stellt, dauert es ein Weilchen bis die Frage bei ihr ankommt und sie Reaktionen zeigt. 
Ganz anders ist es dann, wenn ich in wieder in unserm Foyer bin. Da kommt Stephane auf mich zugestürmt, Marie-Claire nervt mich mit ihrem Dauerthema der "sécurité" und die cholerische Stephanie brüllt rum, warum denn um alles in der Welt die Waschmaschine belegt ist (sorry, mein Fehler...).

Alles in allem also wieder der typische Arbeitsalltag. Im Moment sind auch nur Giulia und ich da. Heißt wir haben mehr zu tun, können uns die Aufgaben aber besser aufteilen. 

Samstag, 4. Januar 2014

Hallo ihr Lieben, ich hoffe ihr seid alle gut ins neue Jahr gekommen. Bei mir war es irgendwie anders als sonst, aber das könnt ihr euch ja sicher denken. Wir haben zum Glück mit einer anderen Urlaubsgruppe in Trosly zusammen gefeiert. Das Foyer dort war riesig, sodass wir locker mit 18 Mann am Tisch Platz hatten. Leider wollten schon die ersten um 10 Uhr zurück zu unserem "Gast-foyer" fahren. Einer hat sogar Magenkrämpfe vorgetäuscht, aber wir sind hartnäckig bis um 0:30 geblieben. Den Countdown haben wir zwar verpasst (die Raucher draußen vor der Tür auch) und auch sonst haben wir nichts von den Silvester-Traditionen gemacht, wie wir sie kennen, aber wenigstens konnten wir mit Champony (alkoholfreier Sekt mit Geschmack) anstoßen. Am 1. haben wir ein Neujahrskonzert besucht, am 2. waren wir im Kino und danach im Restaurant und am 3. sind wir schon wieder zurück nach Ambleteuse gefahren. Das mag sich zwar im ersten Moment entspannt anhören, aber ich hatte wirklich keine entspannten Tage. Wir konnten zwar immer lange schlafen, aber so gut wie nie eine Pause nehmen, weil die Leute ständig um einen herum sind. Als ich einmal für 10 Minuten auf meinem Zimmer war um meinen Koffer zu packen, hat der eine schon meinen Namen gerufen (soweit er ihn aussprechen kann) und kam irgendwann auch hoch und stand dann in meiner Tür und hat mir zugeguckt. Privatsphäre hatten man dort kaum, da war ich froh, als ich an meinem Geburtstag frei hatte und Jan mich besucht hat. Die Rückfahrt verlief relativ problemlos. Diesmal haben wir nicht den Kassenzettel an der Mautstelle vergessen und haben uns sogar 1,50€ gespart. Dafür sind wir aber auch eine Stunde in der Landschaft herumgeirrt, weil unser Navi (das einzige für 3 Fahrzeuge) mal wieder etwas planlos war. Also wenn man nicht unbedingt darauf angewiesen ist, würde ich es nicht empfehlen zwei weiteren Autos folgen zu müssen. Als wir dann endlich nach ca. 5 Stunden heil in Ambleteuse angekommen sind (der Sturm hat uns auch nochmal für eine halbe Stunde auf eine Raststätte gezwungen), konnte ich sofort weiter zum nächsten Foyer und meine Leute einsammeln. Anstatt einem "Schön dich zu sehen" habe ich von Marie-Claire erstmal ein freundliches "Du musst meinen Koffer die Treppe runter zum Auto tragen, ich kann das nicht! erhalten. Überhaupt habe ich an diesem Tag nur als Fahrer, sowie Ein- und Auslader gedient. Valerie, Giulia und ich haben aber schon beschlossen, dass wir in diesem Jahr rebellischer sind und uns nicht als Putzfrau, Köchin, Babysitterin oder Chauffeurin ausnutzen lassen. Ich kann zwar noch nicht auf Französisch schimpfen, aber zur Zeit eigne ich mir das an. Einer aus der Urlaubsgruppe hat mich so aufgeregt, weil er immer vorne sitzen wollte, aber ständig irgendwelche Lichter angemacht und Knöpfe gedrückt hat. Als er zum dritten Mal zum Auto gerannt (!!) ist und trotz meiner Rufe sich reingesetzt hat und die Tür zugeknallt hat, als ich gerade meine Hand dazwischen halten wollte, habe ich ihn angeschrien und hätte ihn auch fast aus dem Auto gezerrt, hätten wir nicht nur 5 Minuten fahren müssen. Im Restaurant hat er sich dann wieder neben mich gesetzt, als wäre überhaupt nichts gewesen, hat ständig seinen Kopf auf meine Schulter gelegt und dabei "Mama" gesagt (das sagt er immer, wenn er anhänglich wird). Das ist das Problem mit den Leuten hier in der Arche. In der einen Sekunde beschimpfen sie dich und sagen richtig gemeine Dinge wie "das sage ich XY (unsere "Vorgesetzten"), wie du dich verhälst, ich bin so froh, nicht mit dir in einem Foyer zu sein". Und im nächsten Augenblick kommen die an und sagen einem, wie gerne sie einen haben. Da fühlt man sich einfach nur verarscht und kann nur gezwungen dazu lächeln. Das ist dann nicht so, wie man sonst immer hört, "die Menschen geben einem so viel", sondern das sind Menschen, die durchaus klar denken können und ihr Verhalten kontrollieren können. Es ist so schwer, die Behinderung einzuschätzen. Im Prinzip sind das Menschen, mit denen niemand zusammen leben will, weil sie eigensinnig und egoistisch sind und sich nicht die Mühe geben, andere zu verstehen oder sich in sie hineinzuversetzen, obwohl sie sonst zu allem in der Lage sind. Heute z.B. hat Stéphane 3 Stunden lang laut Musik gehört und auch noch telefoniert und er schreit und redet noch schneller als sonst am Telefon. Ich hatte mich zu der Zeit kurz hingelegt, weil ich seit langem mal wieder eine Mittagspause hatte. Nachdem ich schon eine halbe Stunde wütend vor mich hingeschmollt habe, bin ich zu ihm und habe ihn darum gebeten, aufzuhören oder leiser zu sein. Natürlich hat er keins von beidenn gemacht, obwohl er das sehr wohl versteht. Er hat sich zwar später entschuldigt, als Giulia ihn darauf aufmerksam gemacht hat, nachdem ich schlecht gelaunt runter gekommen bin, aber man hat einfach gemerkt, dass er das überhaupt nicht ernst gemeint hat und überhaupt nicht darüber nachgedacht hat, dass er andere mit seinem Krach stören könnte.
Auch wenn es schwer nachzuvollziehen ist, muss ich darüber berichten, weil das u.a. ein Thema ist, worüber man hier viel nachdenkt.

Und wenn ich von jemandem, der für 1 Stunde eine Behindertenwerkstatt besucht hat, höre, dass es einen glücklich macht, wenn sie einen anlächeln, dann werde ich denjenigen erstmal auffordern, mit Menschen mit Behinderung zusammen zu wohnen. Man mag sie vielleicht im ersten Moment niedlich finden, aber man darf sie nicht so behandeln und vorallem ihr Verhalten nicht verallgemeinern. Man muss versuchen, die Behinderung auszublenden und versuchen diesen Menschen einzuschätzen. Und wenn man mit demjenigen nicht gut klar kommt, dann darf man sich ihm gegenüber auch nicht verstellen.