Sonntag, 10. August 2014

Au revoir


Mein letzter Arbeitstag. Aus. Vorbei. Wow! Ich habe meine Pause abends genommen, d.h. ab 18 Uhr hatte ich offiziell  Feierabend. Ich habe mir einen Kaffee gemacht und bin mit einem breiten Grinsen auf mein Zimmer gegangen. Was ein tolles Gefühl! Ich habe es tatsächlich geschafft! Und was für eine Last in dem Moment von mir gefallen ist. Jetzt waren natürlich die letzten Tage, Wochen, Monate angenehm und ich habe mich seltener überfordert gefühlt als am Anfang. Aber betrachtet man einfach diese Masse an Stunden, Tagen, Wochen, die ich mit geistig behinderten Menschen in Frankreich verbracht habe. Und was alles in dieser „Stellenbeschreibung“ drinsteckt…

Ich glaube, es wurde am Anfang gesagt, dass wir unseren ersten und letzten Tag schriftlich festhalten sollen. Also ich bin aufgestanden, pünktlich 10 vor 9, weil wir gestern Abend ausgemacht hatten, um 9 Uhr unten zu sein. Es waren auch alle pünktlich da. Brigitte, unsere Festangestellte, Miryam, deren Name bei der Geburtsurkunde falsch geschrieben wurde, weshalb sie immer erklären muss, warum sie nicht „Maryam“, sondern „Miryam“ heißt. Adrien, der erst seit einem Monat bei der Arche ist, und Betty, die gute Betty, die Ende September nach 2-jähriger Arbeit geht. Sie wohnt auch normalerweise hier in diesem Foyer, weshalb sie die meisten der Leute gut kennt und uns mit den Medikamenten und den Duschen hilft.

Nachdem ich mein Croissant mit Erdbeermarmelade gegessen hatte, haben wir die Küche aufgeräumt, gefegt (ja, selbst in diesem Foyer wird der Staubsauger nicht benutzt) und uns bereits ab 10 an die Arbeit fürs Barbecue gemacht. Ich habe einen Salat mit Linsen, Karotten, Auberginen und Quinoa gemacht, während Adrien sich gestern schon um den Tiramisu gekümmert hat und heute für das Fleisch in der Pfanne anbraten verantwortlich war. Es hat leider ziemlich geregnet, deshalb stand unser Barbecue drinnen statt. Aber für 20 Leute wäre draußen sowieso kein Platz gewesen, wir haben nämlich noch das andere Foyer eingeladen, wo zur Zeit Jean-Denis und Brigitte wohnen. Und natürlich habe ich Jean-Marc eingeladen. 

Ach Jean-Marc. Ich habe ihn mit etwas Verspätung im Altenheim abgeholt, im Flur stand er schon wie immer etwas verloren da, sieht mich mit ausgebreiteten Armen auf ihn zu kommen und ruft ganz begeistert „Sie ist da! Sie ist da! Sie ist da! Sie ist da!“ Ja, er wiederholt sich immer mehrere Male. Mit seiner hohen, zerbrechlichen Stimme, die immer etwas weinerlich klingt. Dann schleichen wir zum Auto. Er kann nur noch ganz kleine Schritte machen und er sagt das, was er immer sagt: „Das Auto, das Auto ist wo?“ „Das Auto, das Auto, schönes Auto! Das ist teuer oder?“ Auf dem Weg nach Ambleteuse kommen wir immer an irgendeiner Weide mit Kühen vorbei und jedes Mal deutet er mit seinem Finger dahin und ruft „Die Kühe, die Kühe!“ und ich antworte immer mit „Ja, die Kühe, die Kühe!“ Sehr kreativ.. Dann reden wir noch bisschen über das Wetter: „Es regnet, es regnet, ne, es regnet?“ Vor Ambleteuse meinte ich dann, dass es die gleiche Uhrzeit ist, wie mittwochs vor der Messe, nur dass heute Sonntag ist. Da hat er angefangen sein scheues Lachen zu lachen, als hätte ich den besten Witz des Tages gebracht. Dabei hat er seine Hand auf meinen Arm gelegt und mich von der Seite angeguckt. Aus seinem einen Auge, wo die Lider etwas zusammengewachsen sind, sodass er sein Auge geöffnet hat, aber gleichzeitig auf der einen Hälfte auch halb geschlossen. Sieht auf jeden Fall nicht gruselig aus, wie es sich vielleicht anhören mag. Ich bin sicher, Valerie, dass du gerade das Bild genau vor Augen hast :)

Zu Essen gabs dann wie immer viel zu viel, weil ich Angst habe, dass alle verhungern, oder zumindest meckern, weil SIE denken, dass sie verhungern. Eigentlich ersetzt in Frankreich der Käseteller oder einfach ein Stück Käse das Dessert, aber Brigitte (die Mitarbeiterin) und Miryam sind richtige Käsefans, sodass es irgendwie dazwischen gemogelt wird, aber keiner dafür aufs Dessert verzichten muss.

Anschließend saßen alle auf den Sofas und wir haben eine Krimiserie „Manhatten Experts“ oder so etwas, geguckt. Ich habe vorgeschlagen, „Nemo“ zu gucken, da ich die DVD bei denen im Regal gefunden habe, aber irgendwie wurde meinem Kommentar überhaupt keine Beachtung geschenkt. Brigitte und Amanda waren mit diesen bunten Gummi-Armbändern zum Selbermachen beschäftigt. Schrecklich hässlich! Ich hoffe dieser Trend aus England ist noch nicht bei uns gelandet. Wer sich noch an die ScoobiDoo Bänder erinnern kann, weiß, was ich meine.

Später habe ich Jean-Marc zurückgefahren. Marie-Sylvine wollte mit ihrem Rollstuhl mitkommen, weil sie hoffte, wir würden danach wieder was essen und trinken gehen. Gestern war ich nämlich mit ihr und einer anderen Bewohnerin im Einkaufszentrum und dort gab es Gaufres mit Nutella und Schlagsahne + ein rotes Bier. Dabei soll sie abnehmen. Ich habe ihr dann erklärt, dass wir das nicht jeden Tag machen können, weil ihr Taschengeld dafür nicht reicht, aber ihr war glaube so langweilig, dass sie trotzdem mitgekommen ist. Also habe ich dann den Rollstuhl ins Auto geladen (jetzt weiß ich auch wozu dieser kastenartige Kofferraum gut ist. Sie kann normal laufen, hat aber im Moment ziemliche Schmerzen im Bein. Sie lag dann also halb auf der Rückbank und hat bestimmt innerlich gehofft, dass ich doch noch was mit ihr essen gehe.

Jean-Marc habe ich dann bei sich in der Wohngruppe abgesetzt und er hat mir 4x Au revoir gesagt und mir Küsschen rechts und links gegeben. Dann stand er wieder einsam und verlassen da, als ich langsam die Tür zu seiner Wohngruppe geschlossen habe, die man nur mit einem Code öffnen kann, und hat mit seiner gehobenen Hand mehr gezittert als gewunken. Ich hoffe einfach, dass die nächsten Assistenten ihn auch immer mittwochs zur Messe abholen und ihn ab und zu auf ein Bier ins Freestyle einladen.

Als ich zurückkam, gab es Kaffee und Kuchen und anschließend habe ich mit Anais ihren Freund in Boulogne am Bahnhof abgeholt, der sie übers Wochenende besuchen kommt.
Jetzt mache ich mir etwas zu essen und nachher gehen wir, wie gestern, rüber zu den Assistenten einer Gruppe, die gerade nebenan in der Colombe Urlaub machen.


Da dies wahrscheinlich auch mein letzter Eintrag sein wird, bedanke ich mich bei euch allen für euer Interesse und die Zeit, die ihr euch fürs Lesen dieser Romane genommen habt.

Bis bald und mit den letzten allerliebsten Grüßen aus Frankreich,
Eure Sophia

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